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4.1 Dekubitus

4.1 Dekubitus

Als einen Dekubitus (Druckgeschwür) bezeichnet man den Bereich der lokalen Schädigung der Haut und des darunterliegenden Gewebes, maßgeblich hervorgerufen durch zu hohe und / oder zu lange Einwirkung von Druck und / oder Scherkräften auf Haut und Gewebe. Überschreitet der von außen auf die Gefäße einwirkende Druck den Kapillardruck der Gefäße, kommt es zu trophischen (die Ernährung des Gewebes betreffenden) Störungen. Meist genügt dafür schon das Eigengewicht des jeweiligen unbewegten Körperteils.

Verschiedene Studien zur Bestimmung des Kapillardrucks lieferten Druckwerte zwischen 32 und 70 mmHg, die zu einer Unterbrechung der Blutzufuhr führten. Dauert diese, die Kapillardruckschwelle überschreitende Druckbelastung länger an, kommt es durch die daraus folgende Unterversorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen zu einer Absenkung des Sauerstoffpartialdrucks auf 0 mmHg (Ischämie) sowie einer Ansammlung von toxischen Stoffwechselprodukten und daraus folgend zu einer Nekrosebildung des Gewebes sowie einer irreversiblen Schädigung von Nervenzellen.

Beim gesunden Menschen löst der Anstieg der toxischen Stoffwechselprodukte einen Reflex aus, der zu einer Umlagerung und damit Entlastung der gefährdeten Hautstellen führt, bevor die betroffenen Haut-/Gewebeareale bleibende Schäden erleiden.

Bei älteren und kranken Personen sind diese Reflexe oft nur noch eingeschränkt oder nicht mehr vorhanden, so dass es nicht zur notwendigen Entlastung des Gewebes kommt. Auf die folgende Übersäuerung des Gewebes reagiert der Körper mit einer Gefäßdilatation (Weitstellung der Gefäße), damit diese Bezirke besser durchblutet werden. Eine auch bei Druck bleibende Hautrötung, ein Dekubitus Grad I, ist die Folge. Besonders gefährdet sind Stellen mit geringer Weichteildeckung und nach außen gekrümmten knöchernen Widerlagern, wie Kreuzbeinregion, Fersen, Rollhügel der Oberschenkelknochen und Knöchel.

„Aufgrund der zentralen Bedeutung von Druck- und Scherkräften bei der Entstehung von Dekubitus sind Faktoren, die eine verlängerte und / oder erhöhte mechanische Belastung verursachen, sowohl beim initialen Screening als auch bei der differenzierten Risikoeinschätzung zu berücksichtigen. Hierzu gehören insbesondere Einschränkungen in der Mobilität sowie extrinsische bzw. medizinisch-pflegerisch bedingte Einflüsse“(Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege, 2. Aktualisierung, Seite 23). Die folgende Tabelle gibt einen orientierenden Überblick.

Ursachen für erhöhte und / oder verlängerte Einwirkung von Druck und / oder Scherkräften

Einschränkungen der Mobilität
Definition: Mobilität bezieht sich auf die Eigenbewegungen des Menschen mit dem Ziel, sich fortzubewegen oder eine Lageveränderung des Körpers vorzunehmen und schließt die Fähigkeit zur Kontrolle der Körperposition ein.

Einschränkungen (Auswahl):

  • Beeinträchtigte Fähigkeit, selbstständig kleine Positionsveränderungen im Liegen oder Sitzen vorzunehmen
  • Kaum oder keine Kontrolle über (druckentlastende) Körperposition im Sitzen oder Liegen
  • Beeinträchtigte Fähigkeit zum selbstständigen Transfer, z.B. vom Bett auf einen Stuhl (oder umgekehrt) oder von einer sitzenden in eine stehende Position (oder umgekehrt)

Das Assessment bestehender Einschränkungen der Mobilität sollte für die differenzierte Beurteilung des Dekubitusrisikos und die Ableitung individuell erforderlicher Präventionsmaßnahmen folgende Bedingungs- und Einflussfaktoren berücksichtigen:

  • Status der Mobilität vor Beginn des aktuellen Pflegeprozesses
  • Individuelle körperliche, kognitive und psychische Beeinträchtigungen und Ressourcen
  • Faktoren der sozialen und materiellen Umgebung (z.B. Angehörige, Hilfsmittel, räumliche Barrieren)
  • Therapeutische Einflussfaktoren (z.B. die Mobilität beeinträchtigende Medikation)

Extrinsisch bzw. iatrogen bedingte Einflussfaktoren (Auswahl):

  • Auf die Körperoberfläche eindrückende Katheter, Sonden oder im Bett / auf dem Stuhl befindliche Gegenstände (z.B. Fernbedienung) bzw. Hilfsmittel (z.B. Hörgerät)
  • Nasale und endotracheale Tuben
  • Zu fest oder schlecht sitzende Schienen oder Verbände, Bein- oder Armprothesen
  • Unzureichend druckverteilende Hilfsmittel für die Positionierung
  • Länger dauernde Operationen

Tabelle adaptiert aus: Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.), Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der
Pflege, Seite 24; 2. Aktualisierung 2017, ISBN 978-3-00-009033-2

 

Risikofaktoren für die Entstehung eines Druckgeschwüres liegen zum Teil beim Patienten selbst (intrinsische Faktoren), wie z.B. reduzierte Mobilität, hohes Alter, Mangelernährung, Austrocknung, Gewicht, Zusatzerkrankungen, Infektionen, Harn-/Stuhlinkontinenz, Sensibilitätsstörungen, usw., zum anderen Teil in seinem Umfeld (extrinsische Faktoren), wie beispielsweise Mobilisierung, Umlagerungsintervalle, Hautpflege. Weitere extrinsische Faktoren, die zur Entstehung eines Dekubitus führen können sind Scherkräfte, Reibung, zu hohe Temperaturen und starke Feuchtigkeit (Mazeration der Haut). Offene Dekubitalgeschwüre können eine Eintrittspforte für Erreger sein, die nicht nur eine lokale sondern auch eine generalisierte Infektion hervorrufen können.

Die beste Dekubitustherapie ist immer noch die Prävention! Lassen Sie es gar nicht erst so weit kommen. Beispiele zur Druckentlastung finden Sie auf der Seite Rezidivprophylaxe / Prävention.

 

Klassifikation von Dekubitalgeschwüren in der internationalen Leitlinie des NPUAP, EPUAP und PPPIA:

Kategorie/Stadium I: Nicht wegdrückbares Erythem

Intakte Haut mit nicht wegdrückbarer Rötung eines lokalen Bereichs gewöhnlich über einem knöchernen Vorsprung. Bei dunkel pigmentierter Haut ist ein Abblassen möglicherweise nicht sichtbar, die Farbe kann sich aber von der umgebenden Haut unterscheiden.

Der Bereich kann schmerzhaft, härter, weicher, wärmer oder kälter im Vergleich zu dem umgebenden Ge-webe sein. Es kann schwierig sein, Kategorie/Stadium I bei Personen mit dunkler Hautfarbe zu entdecken.

Kann auf gefährdete Personen hinweisen (Hinweis auf ein mögliches Risiko).

 

Kategorie/Stadium II: Teilverlust der Haut

Teilverlust der Haut (bis zur Dermis), die als flaches, offenes Ulcus mit einem rot bis rosafarbenen Wundbett ohne Beläge in Erscheinung tritt. Kann sich auch als intakte oder offene/rupturierte, serumgefüllte Blase darstellen.

Manifestiert sich als glänzendes oder trockenes, flaches Ulcus ohne nekrotisches Gewebe oder Bluterguss. Diese Kategorie sollte nicht benutzt werden um Skin Tears (Gewebezerreißungen), Verbands- oder pflasterbedingte Hautschädigungen, feuchtigkeitsbedingte Läsionen, Mazerationen oder Abschürfungen zu beschreiben.

 

Kategorie/Stadium III: Verlust der Haut

Zerstörung aller Hautschichten. Subkutanes Fett kann sichtbar sein, jedoch keine Knochen, Muskeln oder Sehnen. Es kann ein Belag vorliegen, der jedoch nicht die Tiefe der Gewebsschädigung verschleiert. Es können Tunnel oder Unterminierungen vorliegen.

Die Tiefe des Dekubitus der Kategorie/Stadium III variiert je nach anatomischer Lokalisation. Der Nasenrücken, das Ohr, der Hinterkopf und das Gehörknöchelchen haben kein subkutanes Gewebe, daher können Kategorie III Wunden dort auch sehr oberflächlich sein. Im Gegensatz dazu können an besonders adipösen Körperstellen extrem tiefe Kategorie III Wunden auftreten. Knochen und Sehnen sind nicht sichtbar oder tastbar.

 

Kategorie/Stadium IV: Vollständiger Haut- oder Gewebeverlust

Totaler Gewebsverlust mit freiliegenden Knochen, Sehnen oder Muskeln. Belag und Schorf können vorliegen. Tunnel und Unterminierungen liegen oft vor.

Die Tiefe des Kategorie IV Dekubitus hängt von der anatomischen Lokalisation ab. Der Nasenrücken, das Ohr, der Hinterkopf und der Knochenvorsprung am Fußknöchel haben kein subkutanes Gewebe, daher können Wunden dort auch sehr oberflächlich sein. Kategorie IV Wunden können sich in Muskeln und unterstützenden Strukturen ausbreiten (Faszien, Sehnen oder Gelenkkapseln) und können dabei leicht Osteomyelitis oder Ostitis verursachen. Knochen und Sehnen sind sichtbar und tastbar.

 

Keiner Kategorie/keinem Stadium zuordenbar: Tiefe unbekannt

Ein vollständiger Gewebeverlust, bei dem die Basis des Ulcus von Belägen (gelb, hellbraun, grau, grün oder braun) und / oder Schorf im Wundbett bedeckt ist.

Bis genügend Beläge und / oder Schorf entfernt ist, um den Grund der Wunde offenzulegen, kann die wirkliche Tiefe – und daher die Kategorie/das Stadium – nicht festgestellt werden. Stabiler Schorf (trocken, festhaftend, intakt ohne Erythem und Flüssigkeit) an den Fersen dient als „natürlicher (biologischer) Schutz des Körpers“ und sollte nicht entfernt werden.

 

Vermutete tiefe Gewebeschädigung: Tiefe unbekannt

Livid oder rötlichbrauner, lokalisierter Bereich von verfärbter, intakter Haut oder blutgefüllte Blase aufgrund einer Schädigung des darunterliegenden Weichgewebes durch Druck und / oder Scherkräfte. Diesem Bereich vorausgehen kann Gewebe, das schmerzhaft, fest, breiig, matschig, im Vergleich zu dem
umliegenden Gewebe wärmer oder kälter ist.

Es kann schwierig sein, tiefe Gewebeschädigungen bei Personen mit dunkler Hautfarbe zu entdecken. Bei der Entstehung kann es zu einer dünnen Blase über einem dunklen Wundbett kommen. Die Wunde kann sich weiter verändern und von einem dünnen Schorf bedeckt sein. Auch unter optimaler Behandlung kann es zu einem rasanten Verlauf unter Freilegung weiterer Gewebeschichten kommen.

Texte aus: National Pressure Ulcer Advisory Panel, European Pressure Ulcer Advisory Panel and Pan Pacific Pressure Injury Alliance. Prevention and Treatment of Pressure Ulcers: Quick Reference Guide. Emily Haesler (Ed.). Cambridge Media: Osborne Park, Western Australia; 2014; Illustrationen: © LIGAMED medical Produkte GmbH

 

Achtung: Nicht selten werden Hautmazerationen mit Druckgeschwüren verwechselt. Es handelt sich jedoch um zwei verschiedene Erkrankungen mit völlig unterschiedlichen Ursachen die dementsprechend unterschiedliche Behandlung benötigen.

Dekubitus

Feuchtigkeitswunde

  Dekubitus Feuchtigkeitswunde
Lokalisation entsteht an einem darunterliegenden Knochen (z.B. Kreuzbein) entsteht in einer Hautfalte (z.B. am Steißbein)
Wundumgebung scharf abgegrenzt diffuse Ausbreitung
Wundgrund schlecht durchblutet, evtl. mit Nekrosen gut durchblutet, Wunde geht maximal bis zur Dermis

 

Fingertest nach Phillips:

Damit kann man einen Dekubitus ersten Grades von einer Hautrötung anderer Ursache unterscheiden. Der Test wurde von Jenny Phillips 1997 beschrieben:

Drücken sie mit einem Finger auf die Hautrötung:

Entsteht ein weißer Umriss und erscheint der Fingerabdruck nach dem Loslassen für einen kurzen Moment weiß, ist dies eine wegdrückbare Rötung und damit der Fingertest negativ. Es liegt kein Dekubitus vor, sondern ein allergisch oder entzündlich bedingtes Erythem.

Ist die Rötung nicht wegdrückbar und bleibt nach Loslassen bestehen, ist der Fingertest positiv: Es liegt eine druckbedingte Hautschädigung vor.

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